Mittwoch, 11. Dezember 2013

Über die Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten

Die Fähigkeit zum selbständigen Arbeiten ist in der Wissenschaft (wie auch in anderen Bereichen) ein Qualifikations- und Kompetenzkriterium.
Dies wird u.a. damit begründet, dass eine Zusammenarbeit dann eine Zusammenarbeit im eigentlichen Sinne ist, d.h. mit zwei oder mehreren Teilnehmern auf Augenhöhe, bei dem jeder etwas vom anderen lernen kann. In allen anderen Fällen wird eine "Zusammenarbeit" als Ausbildung eines Teilnehmers betrachtet, d.h. nicht als Zusammenarbeit gewertet. Der "Ausbilder" sieht dies als Investition oder als Zeitverlust an, je nach Position des "Auszubildenden". Während bei einem Diplomanden/Masteranden, und auch bei einem Doktoranden (bis zu einem gewissen Monat seiner Promotionsszeit), ersteres valide ist, trifft man bei einem Postdoktoranden zweitere Betrachtungsweise an.
Dies zur Ausgangssituation. Eine Kritik dieser Betrachtungsweise wird an anderer Stelle wiedergegeben.

In diesem Falle geht es mir um die Voraussetzungen, die für selbständiges Arbeiten notwendig sind. Außerdem geht es mir um die Fehler, die in der Interpretation dessen gemacht werden.

Für selbständiges Arbeiten sehe ich folgende drei Punkte als essentiell an:
1. Geistige Voraussetzungen
2. Methodik/Wissen/Erfahrung
3. Motivation

Ich bin mir sicher, dass Punkt eins in der Wissenschaft selten für Probleme im selbständigen Arbeiten verantwortlich ist, weil die meiste Arbeit in der Wissenschaft keine geistigen Voraussetzungen verlangt, die nicht im Studium ebenfalls vorausgesetzt werden. Freilich, um ein hervorragender Wissenschaftler zu sein, mag dies gewisse höhere geistige Voraussetzungen verlangen - allerdings ist dies ja nicht notwendig, um in der Wissenschaft arbeiten zu können. Leider, so scheint es mir, wird dieser Punkt sehr oft vorschnell zur Urteilsfindung herangezogen.

Punkt zwei halte ich für den maßgeblichen Auslöser für eine mangelnde Fähigkeit zum selbständiges Arbeiten. Es muss ein gewisses Level an Methodik, Wissen und Erfahrung vorhanden sein. Dies ermöglicht es nicht nur, neue Verknüpfungen zu bilden, sondern auch, viele dieser Verknüpfungen wieder fallenlassen zu können, weil sie im Kontext nicht umsetzbar oder irrelevant sind. Außerdem verringert die Erfahrung die Zeit, die man auf organisatorische oder technische Dinge verwenden muss drastisch. Die Methodik erlaubt, bekannte Fehler von vornherein auszuschließen.
Die Fehlinterpretation zugunsten Punkt eins, unter Vernachlässigung dieses zweiten Punktes, führt meines Erachtens zu einer der größten sich-selbsterfüllenden Prophezeiungen.
Ich will hier nur ein Beispiel von vielen nennen. Wenn man als Postdoktorand sein Arbeitsgebiet wechselt, weist man natürlicherweise einen Mangel an Methodik, Wissen und/oder Erfahrung in diesem neuen Gebiet auf. Dies kann von den Machteliten fälschlicherweise als mangelnde geistige Voraussetzung interpretiert werden, die daraufhin die Zusammenarbeit verweigern, weil diese als Ausbildung gesehen wird, in die man nicht investieren will. Wissen kann damit langsamer oder gar nicht aufgebaut werden, und dieser verzögerte Aufbau kann wiederum als mangelnde geistige Fähigkeit interpretiert werden. Der Kreis schließt sich, die Prophezeiung hat sich selbst erfüllt. Eine Lösung wäre, nicht die fachliche Methodik/Wissen/Erfahrung im aktuellen Bereich als Basis zu verwenden, sondern die Methodik, das Wissen und/oder die Erfahrung, die der Postdoktorand aus seinem vorherigen Aktivitätsgebiet mibringt. Ich denke, es gibt sich immer eine Überschneidung, z.B. im systematischen Arbeiten oder in der logischen Analyse der Ergebnisse. Damit wäre eine echte Zusammenarbeit zumindest "formal" möglich (wobei sie durch andere Faktoren, wie z.B. das Konkurrenzverhalten, nicht wahrgenommen werden könnten).
Die Unmöglichkeit dieser Situation, wie ich sie nenne, schreibe ich übrigens tatsächlich mangelnden geistigen Voraussetzungen zu, und zwar auf Seiten der Machteliten.

Diese mangelnden Voraussetzungen der Machtelite wiegen wesentlich schwerer, weil sie meist eine permanente Position bekleiden und somit die Macht besitzen, Jahrgänge von motivierten Nachwuchswissenschaftlern aus der Wissenschaft zu vertreiben.

Damit wären wir beim dritten Punkt. Man kann argumentieren, dass eine mangelnde Motivation in der mangelnden Erfahrung oder übersteigerten Erwartungen des (Post-)Doktoranden wurzelt, oder in der Wissenschaft selbst, die anstrengend ist und vielleicht zu selten die Genugtuung gibt, die man sich erhofft. Ich glaube aber, dass die Machteliten einen sehr großen Beitrag zu Demotivation leisten, die sie dann den (Post-)Doktoranden anlasten. Damit wird erneut eine Prophezeiung erfüllt.
Ich sehe beispielsweise meist hochmotivierte Doktoranden zu Beginn ihrer Promotionsszeit, ihre Veränderung und schließlich ihre Motivationsprobleme am Ende.

Zusammenfassend ist also meist der zweite Punkt, nämlich die nicht-ausreichende Methodik/Wissen/Erfahrung dafür verantwortlich, dass jemand nicht selbständig arbeiten kann. Ich gehe soweit, dass ich behaupte, dass mit fortschreitender Zeit größtenteils nicht die Methodik verbessert wird, sondern vielmehr das Wissen und die Erfahrung. Dies wiederum kann dazu führen, dass man als neue Machtelite keine Methodik lehren kann, und dies nicht einmal bemerkt. Unsystematisches Wissen/Erfahrung wiederum ist für andere Menschen schwer zu erlernen, und Punkt eins und drei werden zur neuen Prophezeiung der nächsten Generation. Besonders unangenehm ist eine fehlende Methodik für Menschen mit unterschiedlicher Denkweise, die damit besonders schwere Zeiten im Wissenschaftsbetrieb (Zusammenarbeit & Diskussion) haben. Doch dazu mehr an anderer Stelle.

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